Umgewidmet
Die Bundesregierung hat am Mittwoch die Einführung eines bundesweiten "Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung" beschlossen. Demnach soll ab 2015 jährlich am 20. Juni an die deutschen "Vertriebenen" erinnert werden. Der Tag ist eigentlich dem Gedenken an die Flüchtlinge der Gegenwart gewidmet, die die Bundesrepublik mit ihrer Abschottungspolitik nach Möglichkeit fernzuhalten sucht. Berlin überlagert die ursprünglich von der UNO vorgenommene Widmung des Tages jetzt mit nationaler Erinnerung. "Die Vertreibung der europäischen Juden fand ihr grauenvolles Ende in den Vernichtungslagern. Auch Millionen Deutsche mussten schließlich aufgrund von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation ihre angestammte Heimat verlassen", erläutert das Bundesinnenministerium: "Die historische Aufarbeitung dieser Ereignisse sowie die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer werden von der Bundesregierung nachhaltig unterstützt."[1]
Im Zentrum Berlins
Mit dem neuen Gedenktag schreitet der Ausbau der staatlichen deutschen Erinnerungspflege zugunsten der "Vertriebenen"-Verbände voran. Zusätzlich zu dem bundesweiten Gedenktag haben die Bundesländer Bayern und Hessen (2013) sowie Sachsen (2014) die Einführung eines landesweiten Gedenktags beschlossen, der jedes Jahr am zweiten Sonntag im September zelebriert werden soll.[2] Erstmals wird er am 14. September dieses Jahres begangen. Zusätzlich errichtet die Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" im Zentrum Berlins eine Dokumentationsstelle, die dem Thema "Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert" neue Aufmerksamkeit verschafft. Schwerpunkt werden Flucht und Umsiedlung der Deutschen infolge des Zweiten Weltkriegs sein (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Ein Teil der geplanten Dauerausstellung ist bereits in einer "Open-Air-Ausstellung" vor dem Berliner "Deutschlandhaus" gezeigt worden, in dem die Dokumentationsstelle ihren Sitz haben wird.
Das Münchner Diktat
Ergänzend fördert die Bundesregierung den Bau eines "Sudetendeutschen Museums" in München mit bis zu zehn Millionen Euro; weitere 20 Millionen stellt der Freistaat Bayern bereit. Das Museum im Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt soll 2018 eröffnet werden und Geschichte, Umsiedlung und Gegenwart der aus der Tschechoslowakei umgesiedelten Deutschen darstellen. Es wird nicht nur von der in Bayern allein regierenden CSU, sondern auch von der dortigen SPD unterstützt. Bereits 2007 ist im Bayerischen Landtag - und anschließend in mehreren Bundesländern - eine Ausstellung gezeigt worden, die als möglicher Kern des Sudetendeutschen Museums gilt. Auf ihren Tafeln hieß es unter anderem, die Tschechoslowakei habe Anfang 1919 eine "Okkupation des Sudetenlandes" betrieben, während das Münchner Diktat vom September 1938 womöglich als rechtskonform einzustufen sei: Die Wortwahl des Diktats lasse "anklingen", dass das "Sudetenland" durchaus "als besetztes Gebiet interpretiert werden konnte, das nie legitim zur ČSR gehört hat". Unter den Quellen, die die "Diskriminierung der Sudetendeutschen" belegen sollen, wird eine 1936 veröffentlichte Schrift aus dem Verlag des NS-Verbrechers Karl Hermann Frank zitiert.[4]
Modern, mit Internet-App
Bei den Machern des "Sudetendeutschen Museums" heißt es, man wolle keine "Heimatstube", sondern "ein modernes Museum" errichten - etwa "mit eigener Internet-App" und "technischen Spielereien", mit denen man auch Personen locken könne, die den Sudetendeutschen bislang noch nicht nahestünden.[5] Darauf zielen auch der neue Gedenktag sowie die Dauerausstellung der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ab, die zum Beispiel Schulklassen vorgeführt werden soll. Hintergrund der Gedenkoffensive ist, dass die "Vertriebenen"-Verbände wegen des hohen Durchschnittsalters ihrer Mitglieder mitten in einem dramatischen Schrumpfungsprozess stecken und es künftig nicht mehr mit ihrer Hilfe, sondern nur noch mit Hilfe öffentlicher Gedenkpraktiken gelingen kann, die Umsiedlung der Deutschen infolge des Zweiten Weltkriegs tief im allgemeinen Bewusstsein zu verankern - und zugleich die Auffassung öffentlich zu manifestieren, es habe sich dabei um "Unrecht" gehandelt. Diese Auffassung belastet die einst vom NS-Reich überfallenen Staaten, die die Nachkriegs-Umsiedlungen vornahmen, und ist geeignet, sie unter Druck zu setzen.
"Deutschland geht nicht ohne uns"
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2005 die Gedenkprojekte des Bundes der Vertriebenen (BdV) und seiner scheidenden Präsidentin Erika Steinbach systematisch unterstützt und ihre Übernahme in staatliche Obhut gefördert. Sie hat den Gedenktag und die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" durchgesetzt, zweimal die Festrede beim Berliner "Tag der Heimat" des BdV gehalten und regelmäßig den BdV-Jahresempfängen mit ihrer Anwesenheit ungewohnte Publicity beschert. Dafür erhält sie am morgigen Samstag bei der diesjährigen Feierstunde des BdV zum "Tag der Heimat" in der Berliner Urania eine "Ehrenplakette in Gold", die der Verband eigens zur Ehrung der Kanzlerin geschaffen hat. Merkel sei "die erste Persönlichkeit in der Geschichte unseres Verbandes, der diese Ehre zuteil wird", teilt der BdV mit: "Mit dieser Auszeichnung" wolle man "die beständige Solidarität und Freundschaft der Bundeskanzlerin zu den deutschen Heimatvertriebenen würdigen und ihr danken". Der diesjährige "Tag der Heimat" der deutschen "Vertriebenen" steht unter dem Motto: "Deutschland geht nicht ohne uns".[6]
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